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07.01.2016
Kategorie: Info
Von: 7-1-16

Stellungnahme der anerkannten Naturschutzverbände

Stellungnahme der anerkannten Naturschutzverbände NABU, BUND, GrüneLiga, NaturFreunde und SDW zum Entwurf des Leitbildes für die Verwaltungsstrukturreform


Verwaltungsstrukturreform Brandenburg

Anhörung des Ausschusses für Inneres und Kommunales am 12. November 2015

Die jetzige Aufgabenverteilung im Bereich Naturschutz ist das Ergebnis eines langandauernden Prozesses von Aufgabenübertragungen auf die Landkreise seit den 1990er Jahren. Mit jeder Gesetzesnovellierung und zusätzlich auf dem Verordnungsweg wurden Aufgaben des Naturschutzes kommunalisiert. Heute liegt die Grundzuständigkeit bereits bei den Unteren Naturschutzbehörden. Die noch beim Land angesiedelten Aufgaben haben aus gutem Grund mehrere Kommunalisierungswellen überstanden, weil sie nicht sinnvoll kommunalisierbar sind.

Vereinfacht ausgedrückt sind es drei Aufgabenbereiche, die heute noch beim Land liegen:

1. Aufgaben, die mit der Umsetzung von EU-Richtlinien (FFH- und Vogelschutzrichtlinie) zu tun haben. Dazu gehören die Planung und die Umsetzung von Managementmaßnahmen und die Schutzgebietsausweisung. Hier ist schwer vorstellbar, dass bei einer Kommunalisierung eine einheitliche Aufgabenwahrnehmung möglich wäre. Gegenüber der EU haftet das Land für die Umsetzung der Richtlinien. Es ist nicht geklärt, ob und wie Anlastungsrisiken zusammen mit den Aufgaben auf die Landkreise übertragen werden könnten.

2. Die naturschutzfachlichen Beiträge zu konzentrierten Genehmigungsverfahren, bei denen die Zuständigkeit für das Hauptverfahren beim Land liegt. Dazu gehören beispielsweise immissionsschutzrechtliche Verfahren. Hier handelt es sich häufig um hoch spezialisierte Fragestellungen wie etwa die Auswirkung von Immissionen auf benachbarte Schutzgebiete.

3. Hoch spezialisierte Aufgaben im Bereich Artenschutz, etwa die Umsetzung des Washingtoner Artenschutzabkommens (CITES) bezüglich Besitz und Handel von geschützten Arten und artenschutzrechtliche Genehmigungen für Forschungszwecke. Es
handelt sich um Aufgaben, die eine sehr spezielle Fachkenntnis voraussetzen und häufig kreisübergreifend wahrgenommen werden müssen.


Bereits in dem Bericht der Landesregierung zur Umsetzung der Funktionalreform in BB vom Dezember 1997 wurde festgestellt, dass nach der Aufgabenübertragung mit dem 3. Funktionalreformgesetz eine äußerst weitgehende Aufgabenübertragung stattgefunden habe. Bei weiteren Aufgabenübertragungen müsse insbesondere die Effizienz der Aufgabenwahrnehmung geprüft werden, ansonsten sei eine weitere Aufgabenübertragung nicht sinnvoll. Dennoch sind mit dem 2. BbgNatSchG-Änderungsgesetz von 2004 und mit der ArtenschutzzuständigkeitsVO von 2007 weitere Aufgaben übertragen worden.


Im Augenblick wird mit relativ wenigen Mitarbeitern beim LUGV (LfU) eine relativ große Zahl von Vorgängen abgearbeitet. Umgekehrt würden die kommunalisierten Mitarbeiter im LUGV selbst eine gewaltige Lücke reißen. Das LUGV bzw. LfU wird nach einer Verwaltungsstrukturreform nicht mehr in der Lage sein, seine reinen Fachaufgaben, von der Enquetekommission als „Grundsatzangelegenheiten“ bezeichnet, wahrzunehmen. Insbesondere würde keine ausreichende fachliche Beratung der Landkreise – aber auch der Landesregierung – mehr möglich sein. Mit einer Kommunalisierung des Personals des LUGV ist niemandem geholfen, den Landkreisen nicht und dem LUGV bzw. LfU auch nicht. Das Land hat keinerlei Möglichkeit, den Einsatz von Finanzen und Personal in Bezug auf den Einsatz für eine Fachaufgabe zu steuern. Es kann weder einfordern, dass für die Kostenerstattung aufgewendetes Geld noch übertragenes Personal in diesem Bereich zum Einsatz kommt. Auch bzgl. der Qualifikation des Personals hat das Land keinerlei Bestimmungsrecht.

Diese Überlegungen gelten insbesondere für


Schutzgebietsausweisungen
Schon jetzt können die Landkreise die Ausweisung von Schutzgebieten übernehmen. Davon haben Landkreise Gebrauch gemacht. In der Antwort der Landesregierung (Drs. 6/1451) vom 18.05.2015 wird erklärt, dass in den Jahren 2008-2014 insgesamt 49 Naturschutzgebiete ausgewiesen worden sind, davon 45 vom Land und je 2 von zwei Landkreisen. Insgesamt haben Landkreise und Kommunen von 1994-2005 für 86 Naturschutzgebiete die entsprechende Aufgabenübertragung beim Land beantragt. 20
Übertragungen wurden wieder aufgehoben. Weiterhin erklärt die Landesregierung, dass ihr zu den an die Landkreise übertragenen Naturschutzgebieten keine Informationen zum Stand der Verfahren vorliegen. Wegen der völlig unzulänglichen Umsetzung der Natura 2000 Gebiete in nationales Recht durch rechtliche Sicherung und zusätzlich durch die Festlegung eines Erhaltungsmanagements hat die EU-Kommission erst kürzlich gegen Deutschland ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet. Um Vertragsstrafen in erheblicher Höhe abzuwenden muss Brandenburg die rechtliche Sicherung und das Erhaltungsmanagement unverzüglich durchführen. Ein solches notwendiges Vorgehen wäre undenkbar, wenn die Zuständigkeit für Schutzgebietsausweisungen zersplittert bei den Landkreisen liegen würde. Die Umsetzung des EU-Naturschutzrechtes erfordert die Zuständigkeit der Länder, auch für die regelmäßig erforderlichen Berichte zur Umsetzung der NATURA-2000 Richtlinien.

Pflege und Entwicklungsmaßnahmen in FFH-Gebieten außerhalb der Großschutzgebiete

Für diese Gebiete nach europäischem Recht müssen strukturell sowohl Inhalte als auch Verfahren nach einheitlichen Regeln angewandt werden. Es muss ein hohes und breites Maß an fachlicher Kompetenz vorliegen. Häufig sind spezialisierte  Anforderungen des Arten- und Naturschutzes zu erfüllen. Das EU-Vertragsverletzungsverfahren bemängelt die
unzureichende Umsetzung auch in diesem Bereich. Eine Aufsplitterung dieser Aufgabe in Umsetzung innerhalb und außerhalb von Großschutzgebieten ist fachlich nicht nachvollziehbar. Für diese Aufgabe besitzen die Kreise bei weitem keine ausreichenden Kapazitäten, auch nicht nach einem eventuellen Übergang der wenigen Fachleute aus dem LUGV.

Naturschutz in Planungs- und Genehmigungsverfahren

Wie oben dargestellt, sind schon jetzt nur noch Restbestände von Naturschutzaufgaben bei den Landesbehörden verblieben. Dabei handelt es sich etwa um die anspruchsvollen Anforderungen des Artenschutzes. Eine weitere Übertragung auf die Landkreise lässt eine kompetente, gesetzeskonforme Rechtsanwendung kaum noch zu. Das wenige, noch vorhanden Personal würde auf viele Landkreise verteilt.


Genehmigung und Überwachung von Anlagen gemäß der 4. BImschVO - ohne industrielle Anlagen

Nach dem Leitbild der Landesregierung sollen Verfahren unter anderem für Windkraft und Tierhaltungsanlagen sowie Aufgaben aus dem Bereich Abfall, Altlasten, gebietsbezogener Immissionsschutz und Luftreinhalteplanungen übertragen werden.
In allen Bereichen sind komplexe Genehmigungsanforderungen zu berücksichtigen. Das fachliche Anforderungsniveau ist meist vergleichbar, unabhängig von der Größe der Anlage. Bei der Genehmigung von Windkraftanlagen unterscheiden sich die Verfahren wegen der Zahl der zu genehmigenden Anlagen insbesondere im Hinblick auf das durchzuführende Verwaltungsverfahren (z.B. Erfordernis eines öffentlichen Verfahrens). Es wäre nicht sinnvoll im Sinne der Aufgaben und wohl auch nicht im Sinne der Antragsteller, dieses Fachpersonal, das für eine kompetente und zügige Bearbeitung sorgen kann, auf zahlreiche Landkreise zu verteilen. Im Übrigen kann auf die Erfahrungen aus dem Bereich Trinkwasserschutzgebiete verwiesen werden. Es ist kaum zu erwarten, dass die Landkreise beim gebietsbezogenen Immissionsschutz und bei den Luftreinhalteplanungen ihren Aufgabenbereich ausfüllen.


Genehmigungs- und Überwachungsverfahren im Bereich Wasserwirtschaft undmWasserversorgung sowie Abwasserangelegenheiten

Das Land Brandenburg hat bereits 2008 seine alleinige Verordnungsermächtigung für die Festsetzung von hunderten Trinkwasserschutzgebieten zum Schutz des Lebensmittels Nr. 1 an die Landkreise und kreisfreien Städte übertragen. In 8 Jahren sind von ca. 300 neu festzusetzenden Wasserschutzgebieten gerade einmal 9 Wasserschutzgebiete durch die Landkreise festgesetzt worden. Allein drei davon mussten wegen Rechtsfehlern korrigiert werden.
Auch hier stellt sich die Frage, welche Prioritäten Landkreise bei der Daseinsvorsorge und dem Schutz der natürlichen Lebensgrundlage festlegen.


Hoheitliche und Gemeinwohlorientierte Aufgaben des Landesbetriebes Forst

§ 1 Brandenburger Waldgesetz stellt in besonderer Weise die Bedeutung des Waldes für Mensch und Natur heraus, bestimmt die Schutz- und Erholungsfunktion des Waldes insgesamt und erläutert außerdem die Nutzfunktion des Waldes.
§ 26 Brandenburger Waldgesetz betont dies besonders für den Landeswald: „Der Landeswald soll dem Allgemeinwohl, insbesondere dem Schutz und der Erhaltung natürlicher Waldgesellschaften, in besonderem Maße dienen. Er ist daher vorbildlich und nachhaltig unter vorrangiger Beachtung der Schutz- und Erholungsfunktionen zu bewirtschaften, um seine wirtschaftlichen Potenziale den standörtlichen Bedingungen entsprechend auszuschöpfen.

Das Waldgesetz legt den Vorrang der Gemeinwohlbelange (Schutz- und Erholungsfunktion) gegenüber der Nutzfunktion des Waldes fest. Die vom Landesforstbetrieb wahrgenommenen Aufgaben in der Waldpädagogik, der Kinder- und Jugendarbeit, die sinnvolle Erschließung des Waldes für Bürger und Touristen, die Umsetzung von Naturschutzbelangen im Wald wäre bei einer Kommunalisierung der Aufgaben gefährdet. Viele dieser Aufgaben werden auch kreisübergreifend wahrgenommen. Die drei Funktionen des Waldes in Brandenburg -Schutz, Erholung und Nutzung- stehen in engem Zusammenhang und dürfen in den Verantwortlichkeiten nicht auseinandergerissen werden.


Großschutzgebiete

Die 15 Großschutzgebiete, davon 11 Naturparke, werden in dem Leitbild der Landesregierung nur nachranging erwähnt. Trotzdem soll hier darauf eingegangen werden.
Die Naturparke Brandenburgs sind ein Kernstück der Naturschutzpolitik nach der Wende. Alle Großschutzgebiete bilden ein funktionelles System. Sie verbinden Naturschutz mit Regionalentwicklung und haben dadurch eine sehr hohe Akzeptanz in den Regionen gefunden. Sie tragen zur Verbesserung der regionalen Wertschöpfung bei. Voraussetzung für diesen Erfolg ist eine personelle Mindestausstattung und die gleichwertige Bearbeitung von Naturschutz, Landnutzung und  Regionalentwicklung. Die Naturparke „ostdeutscher Prägung“ heben sich dadurch erheblich von manchen westdeutschen Naturparken ab, die nicht mehr als ein Etikett für die Tourismuswerbung sind. Voraussetzung ist eine einheitliche Regie unter Landeshoheit, die den vorhandenen Qualitätsstandard sichert.

Die Naturparke sind ein Aushängeschild Brandenburgs und einer der wenigen noch funktionsfähigen Überreste der einst vorbildlichen Umweltpolitik der 90er Jahre. Eine Kommunalisierung käme einer Zerschlagung gleich, weil der hohe Qualitätsstandard nicht mehr einheitlich abgesichert werden könnte. Besondere Schwierigkeiten bestünden für die insgesamt 9 Naturparke, die im Gebiet mehrerer Landkreise liegen. Eine Abgabe der Naturparke an die Kreise wäre eine Bankrotterklärung des Naturschutzes in Brandenburg. Allerdings muss auch das Land Anstrengungen unternehmen, um die im Koalitionsvertrag festgeschriebene Stärkung der Großschutzgebiete zu gewährleisten. Mit weiterem Personalabbau ist dies nicht vereinbar.

 

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